„No Risk – no Fun“ dachte sich Kevin und eh Mami die Lederhose im Müllsack verschwinden lässt während er in der Schule war, entschied er sich eines der nagelneuen Adidas T-Shirts, die Mami ihm eigentlich für den Sportunterricht gekauft hatte zur alten, abgetragenen Lederhose anzuziehen Die Hosenträgerchen verdeckten das Adidas Logo zwar ein wenig, aber die drei Streifen auf der Schulter waren deutlich erkennbar. Irgendwie ein gewisser Anachronismus, die älteste Hose, die er noch hatte und das allerneuste T-Shirt – aber komischerweise passten beide vom Stil her gut zusammen. Nur dass das Shirt halt noch nagelneu und für den Sportunterricht gedacht war. Trotz allem kam er an diesem Morgen sehr schüchtern und leise die Treppen hinunter. Als er Mami sah, fing er leise an zu weinen, was ab und zu noch, aber halt doch immer seltener nochmal vorkam. Sie nahm ihren Sohn in die Arme, fragte, was denn sei und versuchte ihn zu trösten. Langsam Abschied nehmen zu müssen tat halt immer besonders weh, egal ob es Oma war, von der er sich vor den Sommerferien verabschiedet hatte und sie dann ganze fünf Woche lang nicht mehr sah, oder halt auch von Mami, als er das erste Mal mit der Schule zur Klassenfahrt fuhr. Er hatte Angst, wie der weitere Tag verlaufen würde und konnte sich gar nicht so recht darüber freuen, in Lederhosen zur Schule zu dürfen.
Anna griff an diesem besagten Morgen wie selbstverständlich zur kurzen Lederhose. Sie hatte überhaupt kein Problem damit, sie zur Schule anzuziehen, ganz im Gegenteil. Sie und Kevin verbrachten die meiste Zeit in den Pausen gemeinsam auf dem Schulhof und Kevin war immer besonders fasziniert von ihr, wenn sie in Lederhose zur Schule kam. Aber er mochte sie auch so, das zeigte er ihr immer wieder daran, dass er sie an Tagen, wo sie in „normaler“ Jeans kam auch nicht anders gegenüber trat. Manchmal war er jedoch etwas eifersüchtig auf sie, weil sie einfach alles anziehen durfte, was sie mochte, während seine Mami doch stärker und kontrollierender auf ihn ein wirkte. Umso stolzer war er, dass er heute – am letzten Tag vor der Altkleidersammlung – tatsächlich doch noch die Lederhose zur Schule anziehen durfte. Und er war froh und glücklich darüber, dass sowohl das Wetter, als auch Mami mitspielte.
Gestern Abend im Bett hatte er sich noch vorgestellt, wie Mami – nachdem er wie üblich in Jeans und Sweatshirt zur Schule gegangen wäre – in sein Zimmer eingedrungen und sie die Lederhose geschnappt hätte. Wie sie ohne großes Bohei als letztes mit im Altkleidersack gelandet wäre, die Trägerchen nach unten weg und einmal auf die Mitte gefaltet, so wie sie jahrelang im Fach mit den Sommerklamotten im Schrank gelegen hätte. Er war sich nicht sicher, ob Mami sie bewusst so im Sack platziert hätte, dass er sie noch hätte durchschimmern sehen, oder ob sie eh einen der etwas dickeren, blickdichten Säcke genommen hätte. Aber vermutlich wäre es Mami eh scheiß egal, ob er sie nochmal wahrnehmen dürfte oder nicht. Vielleicht hätte er den Sack auch bis zum nächsten Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen, denn obwohl er durchaus an verschiedenen Stellen die Woche über nachgeguckt hatte, weder den Altkleiderpacken noch den Müllsack hatte er irgendwo im Haus entdeckt. Mami müsste den also eh irgendwo versteck haben, aber das Versteck muss so gut gewesen sein, dass Kevin nicht drauf kam.
Zum Glück hatte ich mir heute einen Tag frei genommen. Als Anna zur Schule war inspizierte ich als erstes Katrins Lederlatzhose und die dazu passende Jacke – ob beides wirklich so schlecht im Zustand war, wie sie immer behauptet hatte. In der Tat, das Leder war reichlich abgegriffen aber im Gegensatz zur roten Lederjeans, die ja inzwischen im Müll gelandet war, nirgendwo kaputt. Gut ein paar Nähte waren nicht mehr in Ordnung, aber mehr als ein, zwei Zentimeter waren es dennoch nicht. Und das ließ sich sicherlich wieder machen. Das Innenfutter war insgesamt noch in Ordnung, aber auch hier und da ein paar lose Stellen. Die griechische Änderungsschneiderei im Ort würde das sicherlich für kleines Geld wieder hinbekommen, da war ich mir sicher. Die Lederjacke sah jedenfalls deutlich besser aus. Hier waren zumindest keine Schäden erkennbar.
Anzuprobieren brauchte ich beides nicht, das war mir klar – denn die Azubine war deutlich kleiner und schlanker als ich (wobei ich mich auch nicht gerade als dick empfinden würde, aber ein paar Kilo und Zentimeter Unterschied liegen schon zwischen uns beiden

Katrin würde doch jetzt ernsthaft von mir erwartet haben, beides so mir nichts dir nichts in die Tonne zu kloppen? Nein, ich interpretierte ihr Verhalten als Wink mit dem Zaunpfahl, als ein „Hier hast Du die Scheiße und halt bloß jetzt endlich die Klappe!“. Ich hoffte, dass sie sich spätestens am Montag wieder so einigermaßen beruhigt haben würde. Alles andere wäre auch schlecht, denn wir haben eigentlich in letzter Zeit immer richtig gut zusammengearbeitet. Wobei, irgendwie war ich auch traurig und in einer Art Warteschleife gelandet denn eines war ab heute hundertprozentig klar: Ich werde Katrin jedenfalls nicht mehr in Lederjeans sehen. Es sei denn, ihre Mama hat noch eine weitere Lederjeans im Petto, wo aber jetzt erstmal nicht von auszugehen war.
Anna und Kevin hatten in der Schule echt Glück – seit langem mal wieder ein Tag, wo sie keine Hausaufgaben aufbekommen hatten. Sie verbrachten daher den ganzen Nachmittag zusammen, ohne dass Kevin sich mal zu Hause blicken ließ. Ärger drohte hierfür zumindest keiner, da er morgens beim Frühstück entsprechendes abgesprochen hatte. Anna spürte sichtlich Kevins angeschlagene Stimmung, da sie wusste, was los war verkniff sie sich jeglichen Kommentar. Kevin war irgendwie zu nichts zu gebrauchen, es hatte sichtlich schlechte Laune und war zickig wie lange nicht mehr. Der Tag heute war für ihn wie Weihnachten, nur dass er von vornherein wusste, er würde keine Geschenke bekommen. Er spürte, zu Hause wartet nichts Gutes auf ihn. Dennoch saßen bei eng umschlungen auf der Parkbank am Spielplatz und überlegten, was sie anstellen könnten! „Noch ein paar Wochen, dann sind schon wieder Herbstferien!“ sinnierte Kevin lustlos vor sich hin. „Stimmt“ nickte Anna, „die Zeit seit den Sommerferien ging mal wieder sehr schnell vorbei! Jetzt steht der usellige Herbst wieder vor der Tür, mit Regen und Nebel und abends wird es wieder so früh dunkel!“
„Fahrt ihr eigentlich weg in den Herbstferien?“ fragte Anna neugierig. Kevin antwortete kurz ab „ 1 Woche Bayern, Bergwandern, 5-Sterne Hotel, da hätte ich eh meine Lederhose nicht anziehen dürfen in dem feinen Laden …“ Obwohl Anna es vermieden hatte den Finger in Kevins Wunde zu legen und ihn auf seine Lederhose anzusprechen. „… die durfte ich ja schon letzten Sommer nicht mehr mitnehmen.“ Kevin hatte resigniert, hatte auf dem Spielplatz seine Lederhose noch ein letztes Mal richtig hart rangenommen und mit Anna im Sandkasten getobt als gäbe es kein Morgen. Anna hatte ihn zwar so richtig herausfordern müssen aber das Herumwälzen in Spielplatzsand war für beide großer Gaudi. Gegen Nachmittag – viel zu früh aus Annas Sicht, machte Kevin sich auf: „Nützt ja nichts, ich bring‘s jetzt hinter mich! Hab‘ auch keinen Bock auf Gruppenstunde …“ murmelte er vor sich hin. „Du hast es gut, Anna – Du hast echt ‘ ne tolle Mama. Ich wünschte, meine würde sich von Deiner mal ‘ne Scheibe abschneiden!“
Anna fasste es als Kompliment auf und so gingen beide zunächst gemeinsam, später getrennt ihre Wege nach Hause. Erst ganz langsam wurde auch Anna klar, was der Abschied zu bedeuten hatte: Auch sie würde Kevin nicht mehr in kurzer Lederhose sehen, obwohl er darin doch so richtig knuffig wirkte. Als er zu Hause ankam, waren Mama und Papa noch unterwegs – wahrscheinlich einkaufen oder sonst wo hin. Er wusste es nicht und einen Zettel wo sie sind hatten sie auch nicht da gelassen. Also nutzte er noch einmal die Gunst der Stunde, legte sich mit dem Bauch auf die Couch, dachte noch einmal an Saskia und daran, dass er sie immer noch nicht in seinem Kapuzennicki gesehen hatte, dachte an Anna und daran, dass sie diesmal von der Altkleidersammlung verschont bleiben würde und dachte an all die vielen Müllsäcke mit Klamotten von irgendwelchen Kindern die morgen einsammelt und vernichtet würden. In Gedanken ging er einmal durch die ganze Klasse, fand aber keine Klamotten die in sein Beuteschema passen würden. Wie denn auch, Anna war die einzige, die noch etwas Ausgewöhnliches anzog, aber Anna war diesmal save, das wusste er. Bei Saskia war er sich ziemlich sicher, dass da auch mindestens ein Müllsack vor der Tür stehen würde. Seine Gedanken kreisten um seinen Kapuzennicki, der nach wie vor verschollen war. Wobei er sich bei Saskia auch nicht wirklich vorstellen wollte, dass sie es zulassen würde, den Nicki einfach so zu entsorgen, wo er ihr eigentlich perfekt passen müsste.
Kevin hörte den Schlüssel in der Haustür, Mama und Papa waren vom Einkaufen zurück. „Hab‘ Dir neue Wintersachen mitgebracht, kannst Du gleich mal anprobieren! Und leg‘ die Lederhose einfach auf die Treppe, wenn Papa nachher nochmal in die Garage geht, kann er sie direkt mitnehmen und in den Müllsack packen!“ Klare Ansage, mal schauen, was Mama da wieder an neuen Sachen mitgebracht hat. Auch wenn es ihn wurmte, dass er meist nicht zum Klamottenkauf mit durfte, waren die Sachen die Mama mitgebracht hatte, dennoch meist nach seinem Geschmack. „Ich hab‘ Dir neue Levis Jeans mitgebracht, dann hast Du wieder genug Hosen für den Winter. Und Sweatshirts von Levis und Adidas, sollten Dir eigentlich gefallen. Und ich hoffe, Dir gefallen die beiden Anoraks von Esprit, den blauen Daunen-Stepp-Anorak mit den roten Schultern und der roten Kapuze kannst Du zur Schule anziehen, die braune Camel-Lederjacke lassen wir dann mal für gut.
Mama brachte ihm vier große Tüten mit neuen Anziehsachen ins Zimmer. Seine Lederhose hatte er inzwischen ausgezogen und wie befohlen auf die Treppe gelegt. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn auch hier hatte er schon schlechte Erfahrungen gemacht. Einmal war er bei neuen Klamotten zickig gewesen und dann dampfte Mama mit der Tüte neuer Klamotten wieder ab. „Dann eben nicht“ war ihre Antwort „wenn Du undankbares Blag jetzt rumzickst bekommt Saskia eben die Sachen sofort und nicht erst, wenn Du die ein- oder zweimal getragen hast.“ Manchmal konnte Mami halt ganz schön fies sein.
Am nächsten Morgen machte seine Mama sich auf, den Müllsack mit den Altkleidern aus der Garage an den Straßenrand zu stellen. „Alles muss man hier selber machen“ grummelte sie vor sich hin als sie die Lederhose immer noch auf der Treppe liegen sah. Plötzlich stand Kevin im Schalfanzug neben hr. „Nicht so neugierig, mein Freund, ab ins Bett“ raunzte sie ihn an. Kevin aber ließ sich nicht abwimmeln, als er sah, wie lieblos Mama sich die Lederhose gegriffen hatte …